Schriften zu Martin Schmid

Katalog Martin Schmid
Ausstellung 2002
Bundesministerium der Justitz Berlin

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Zitate

Marie Luise Kaschnitz, 1961

» Die ersten Bilder von Martin Schmid habe ich in der Villa Massimo in Rom gesehen. Es waren pflanzengleiche Häuser, alles wie aus Glas geblasen oder wie eben erst sich verfestigende Flut. In späteren, auch in früheren Arbeiten, glaubte ich dann noch andere Triebkräfte zu erkennen, nämlich einen dynamischen und fast barbarischen Hang zur Sinnlichkeit und wuchernden Üppigkeit, eine quellende, berstende Granatapfelfruchtbarkeit, auch eine Neigung, fluktuierende Formen zu bannen im barocken und dabei doch statischen Ornament. In Gesprächen mit Martin Schmid habe ich erfahren, wie diese starken und merkwürdigen Bilder zustande kommen und daß hier nicht Gegenständliches verfremdet wird, sondern Formen und Symbole sich in Gegenständliches verwandeln, gewissermaßen in ihm ihre Heimat suchen. Was bei Martin Schmid immer zuerst da ist, ist die Form, ist vor allem er selbst. Mit sich selbst, seiner Triebhaftigkeit und seiner Geistigkeit will er die äußere Welt durchdringen, will sich in eine Landschaft, einen Baum, eine Frucht verwandeln, in Gegenstände also, die zu diesem Zweck deformiert werden müssen. Daher das Anthropomorphe seiner Darstellungen, bei denen etwa eine Baumkrone an einen menschlichen Hinterkopf, ein Stamm an einen menschlichen Ellbogen und eine menschliche Faust erinnern können. Daher seine wilde Phantastik, die so ungesucht ist wie die zarte beinahe klassische Ruhe seiner Stilleben, und der salatähnlichen Gebilde, bei denen gewissen Spirallinien in der sinnlichen Welt ein Platz angewiesen wird. Auf seinem Weg von einer Art von selbstentdecktem Tachismus zur Verkörperung im Gegenstand hat Martin Schmid, der kunstgeschichtlich Gebildete und zum Erklären und Lehren ungewöhnlich Begabte, wie ich glaube, nie etwas Bestimmtes gesucht, sondern nur erduldet, was von seinem jeweiligen Bild oder seiner jeweiligen Zeichnung mit ihm angefangen wurde. Was dabei herausgekommen ist, ist etwas unverwechselbar Eigenes, ein Bekenntnis zum Subjektivismus, ein Versuch, den Gegensatz zwischen Innenwelt und Außenwelt aufzuheben und dem Humanen der Jetztzeit in der Malerei ein neues Recht zu verleihen. «