Schriften zu Martin Schmid

Katalog Martin Schmid
Ausstellung 2002
Bundesministerium der Justitz Berlin

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Zitate

Walter Jens, 1992

» Es ist faszinierend zu sehen, wie ein Künstler durch Rück-Sicht und Voraus-Blick die Gegenwart gleichsam einkreist: Von fernher winkt Altdorfer und schaut dem Maler über die Schulter; von weither treten Phantasmagorien der Träumer und Propheten, Kosmologen und Symbolisten ins Blickfeld - und beide zusammen, vereint im Temperament eines seismographisch arbeitenden Malers, sind verläßliche Garanten jener unio mystica, die sich in der Mal- und Zeichen-Welt Martin Schmids präsentiert - einer nachvollziehbaren Unität, wie sich versteht; denn die Bilder sind keine Zufalls-Entwürfe gemalt in Rausch und Ekstase, sondern Zeugnisse einer Verfahrensart, die Robert Musil „taghelle Mystik" genannt hat.

Auf diese Weise ergibt sich - mit Hilfe einer höchst aparten malerischen „Dialektik", die nichts mit dem Entwurf antithetischer Figurationen zu tun hat, wohl aber mit einem unermüdlichen Entsprechungs-Spiel ... auf diese Weise ergibt sich am Ende eine concordia discors - eine einträchtige Zwietracht, die der mystischen Einheit ein Element der Rebellion, ja, offener Widersätzlichkeit hinzufügt.

Die Humanität des Malers Martin Schmid bewährt sich in der Sanftmut, mit der er, Gegenzeichen zu einer Welt der Kriege, des oben-unten, ich und nicht du, wir und die anderen entwerfend, das Eingebundensein der Frauen in die Bezirke der Bäume und Blätter und Früchte malt, oder das Hineinhuschen der Zwerge in die Federn der Büsche und Blüten, die Kurven und Spiralen fruchtbarer Märchenzonen bezeichnet.

Das Helle ist in diesem Werk von starrer Melancholie bedroht. „Sonnenläufer und Drachenwelt": Der Titel steht für die Doppelheit im Werk Martin Schmids: Hüben Tanz und überschäumendes Spiel in der Zone der Kiele und Federn, der Spaß an der Zirkulation und der Motorik der Elemente; drüben das statische Für-sich-Sein; ein Sich-Sträuben und Sich-Zieren gegenüber rascher Verallgemeinerung und dem Eingehen in die Beliebigkeit des Allgemeinen.

In den Bildern Martin Schmids ... gibt es ... eine die Jahrzehnte überspannende Konsequenz, die diese Bilder, einerlei, ob sie nun 1971 oder 1991 gemalt worden sind, unverzüglich erkennbar macht – erkennbar deshalb, weil ein Künstler von Rang, dessen Stunde, wir sind da gewiß, noch kommen wird, sich, mit Paul Valery zu sprechen, die Fähigkeit versagt hat, in einem Augenblick alles zu können. «